German transliteration

Prag, 8. August 38.

Liebe Lotte,

Beinahe wäre mir wieder das “Lottekind” aus der Feder geflossen – und das würde ich mir doch allmählich abgewöhnen müssen.  Kann und darf man denn eine würdige Ehefrau so respektlos anreden? Genug, wenn man es bei einer Sekretärin wagt.

Aber dieses “Lottekind”, dass ist doch der einzige, richtige Ausdruck für meine Gedanken. Es ist, als würde eine kleine Schwester von mir heiraten, oder eine große Tochter. Und darum will ich es nicht beim Gedicht bewenden lassen, sondern auch noch ein richtiggehendes Gratulationsschreiben loslassen.

Trotzdem soll nichts darin stehen von all den herzlichen und prächtigen Wünschen, die viele andern in der nächsten Tagen über Ihren __ ausschütten werden. Ich will Ihnen nur noch schliesslich sagen, wie unendlich ich mich darüber freuen, dass Sie einen Mann gefunden haben, wie er zu Ihnen passt – dann das war keine Kleinigkeit. Die Menschen bestimmen zu – doch ihr Schicksal zum großen Teil selbst – ich bin glücklich, dass Sie von diesem Selbstbestimmungsrecht so guten Gebrauch gemacht haben. Darum __ ich mit all den hergebrachten Wünschen.

Muss ich eigentlich noch betonen, dass ihnen auch in Zukunft mein nicht immer angenehmer aber immer gutgemeinter Rat zur Verfügung steht? Und dass ich mich immer als Freund, oder im Sinne der Gesagten als “großer Bruder” fühlen wurde und auf so (betrachtet) werden möchte; auch wann sich das Lottekind inzwischen in eine Lottefrau verwandelt hat.

Was noch? Viele freundlichen Gratulationsgrüße Ihrer Mutter und dem Bräutigam. Und für Sie einer kräftigen und aufrichtigen Handedruck von Ihrem

 

Zum 11. August, 1938

 

Da sieht man, wie sie vergeht, die Zeit:

Wie lang ist’s her, das in Pepitakleid

Die kleine Wotizky mit Zittern und Beben

Sich in Fräulein Hartigs Schule begeben;

Ein schüchternes Mädel mit Wuschelhaar. –

Und jetzt sie schon zum Frauenalter.

Ja, ja! Aus vorgestern wird plötzlich heute

Und aus Kindern wurden Eheleute.

So ging es, so geht es allerwegen,

Gibt nur die besorgte Mutter den Segen.

(Es ist halt ein Kreuz mit diesen Kindern:

Sie lassen sich nicht am heiraten finden.)

 

Doch der Freund, der an das Kommende denkt,

hat den Schrift zum Astrologen gelenkt,

dass dieser ihm für die beiden leute

Gewissenhaft die Zukunft deute. –

der Sterndeuter zog hintern Ofenrohr

Folianten, Tabellen und ähnliches vor,

Studierte hin und studierte her

Und blätterte in den Büchern schwer.

dann rief er, die Ehe würd wunderbar klappen. –

Und ich soll, das honorar gleich berappen.

doch ich hab noch lang nicht die Börse gezogen,

Sondern Beweise verlangt, dass er nicht gelogen;

denn’s ist Vorsicht geboten bei solchem Herrn.

da erzählt er mir was von einem glücklichen Stern,

Worauf ich ihn fürchterlich x:

Zu der Weisheit fühlt ich grad ihn gebraucht.

 

doch apropos da fällt mir ein:

diese Dichter mischen sich in alles drein.

Und so hat sich, was meine Behauptung bekräftigt,

Einer längst schon mit Lottes Hochzeit beschäftigt.

Sprach klug, wie ein Dichter eben spricht!

“Die Sterne, die begehrt man nicht.”

Doch der Obergescheite hat mich erklärt,

Was man tut, wenn der Stern einen begehrt.

Das weiss ich natürlich jetzt ganz genau:

Man geht einfach hin und wied seine Frau.

 

Und da wir schon beim Himmel sind,

Verrate ich ein Geheimnis geschwind:

Ich entdeckt’ nämlich ohne Astrolog zu sein:

In der Hochzeitsnacht gibt es Vollmondschein.

Und kann’s wohl ein besseres Vorzeichen geben

für zweier Menschen Eheleben?

Ich glaube nicht. Und darum scheint es mir klar:

Die Ehe wird wirklich wunderbar.

Immer still und licht und voller Frieden,

Wie Mondnächte, die Verliebten beschieden;

Und lächelnd und heiter und strahlend froh –

Zumindest wunsch ich es aufrichtig so.

 

Translation

Prague, August 8, 1938.

Dear Lotte,

I nearly caught the word “Lottekind” flowing from my pen – a habit I will soon have to give up. Can and should one be allowed to address someone else’s wife so disrespectfully? It’s enough to risk it with a secretary.

But “Lottekind” is nevertheless the only appropriate expression of my thoughts. It is as if my younger sister or grown-up daughter is getting married. And that’s why I won’t content myself with only writing a poem, but also a regular letter of congratulations.

But I won’t include any of the conventional heartfelt wishes which others will flood you with over the next few the days. I only want to say how very happy I am that you have found a man who suits you so well – because that’s no small thing. People have the right to self-determination – for the most part we even determine our own fates – and I am glad that you have made such good use of this right. And that is enough with all the conventional words of congratulations.

Do I even have to say that my not always welcome but always well-meaning advice will always be at your disposal? And that I always will consider myself your friend, or as I have said previously, your “big brother”, and would like to be thought of the same way, even when Lottekind has transformed into a Lottefrau.

What else? My sincere congratulations to your mother and the groom. And for you, a strong and sincere handshake from your

[Name illegible]

 

For August 11, 1938

 

Look how quickly the years fly by:

How long has it been since Little Wotizky

Quivering and shaking, in her shephard’s dress,

Walked into Miss Hartigs class;

A shy little girl with curly hair –

And now already a woman.

Well, well! Yesterday has become today,

And children have become husband and wife.

So it was, so it will always be,

Just give your blessing to the worried mother.

(It is always such trouble with these children:

They find it so hard to get married.)

 

A friend, thinking of what is to come,

Directed this writing to an astrologer,

Who could precisely divine the future

For the happy couple.

The astrologer reached behind his stove pipe

And drew out folios, tables, and other such things,

Studied here and studied there,

And paged through the books with difficulty.

Then he proclaimed that the marriage will turn out wonderfully

And I should cough up his fee at once.

But before I handed over my wallet

I demanded proof that he had not lied:

Because caution is needed with such gentlemen.

Then he told me about a lucky star,

I felt I needed his wisdom.

 

But suddenly it occurred to me:

Poets interfere in everything.

And, confirming my suspicion,

One had addressed Lotte’s wedding long ago.

He spoke intelligently, like a poet speaks!

“One shouldn’t covet the stars.”*

But the Know-It-All explained to me,

What to do when the stars covet you.

Of course I now know that perfectly well:

You go and find yourself a wife!

 

And now that we’re on the topic of heaven,

I’ll quickly reveal a secret:

I discovered, without being an astrologer:

There will be a shining full moon on the wedding night.

And can there be a better omen

For a couple’s wedded life?

I don’t think so. And that’s why it’s clear to me:

The marriage will be truly wonderful.

Always calm and bright and full of peace,

Like moonlit nights for a pair of lovers

And smiling and serenely and radiantly happy –

At least I sincerely wish it so.

 

* a quote from Goethe’s poem “Trost in Tränen.“

 

[Translated by Sofia Sheri, Smith College ’18]